Horn von Ketewana Yaprak Tsatsashvily

Interview mit Lisa ZaludBrunnenpassage08.05.2015
„Ich habe drei Heimaten, kann man so sagen. Wo ich geboren bin – das ist Georgien. Die zweite Heimat ist Israel, wo ich Kraft und Rückendeckung habe […]. Und die dritte Heimat, wo ich mein Brot verdiene und wo meine Kinder lernen, das ist Österreich. Und das kann mir keiner wegnehmen. Man sagt, das ist Blödsinn, man darf nur eine haben. Aber ich sage, man kann mehrere haben, und ich habe drei Heimaten.“

Ketewana Yaprak Tsatsashvily ist mit ihrer jüdischen Familie als zehnjähriges Mädchen aus Georgien über Israel nach Österreich ausgewandert. Nun betreibt sie seit Jahren einen Marktstand am Brunnenmarkt. Dort bewahrt sie unter anderem ein Steinbockhorn aus Georgien auf, das sie daran erinnert, wie sie 1989 nach 19 Jahren wieder nach Georgien zurückkehrte. Gemeinsam mit ihrem Mann fuhr sie nach Oni, seinen Geburtsort. Das Dorf liegt hoch in den Bergen und ist selbst mit dem Auto nur schwer zu erreichen.

Jedes Jahr im März machen sich dort die Männer auf die Suche nach Tieren, die den Winter über verendet sind, und nehmen ihnen die Hörner ab, höhlen diese aus und verkaufen sie. Sie werden als Geschenke, Souvenirs oder als Trinkgefäße verwendet. Bei Hochzeiten kann es schon mal vorkommen, dass das Horn stets gefüllt mit der Aufgabe, es auf einmal zu leeren, herumgegeben wird. Wem dies gelingt, ist ein „echter Mann“. In Ketewanas Horn passen sechs Viertel. Beim dreißigsten Geburtstag ihres Mannes, den sie in Oni feierten, wetteten sie, dass heute kein Mann in der Runde ist, der das Horn auf einmal leeren könne. Aber ihr Mann bewies allen das Gegenteil. Ketewana schwärmt von den wunderschönen vier Wochen, die sie damals in den Bergen Georgiens in unberührter Natur verbrachten. Das Horn kauften sie in Oni als Erinnerung an ihre Rückkehr nach Georgien und die wunderschöne Zeit mit ihrer Familie. Es lässt sie an die Ursprünglichkeit der Natur und der Menschen vor Ort denken. Laut Ketewana gibt es viele Leute, die gerne wieder zurückkehren würden – aber nur für eine bestimmte Zeit, nicht für immer. Auch sie möchte wieder einmal nach Georgien, um manche Plätze aufzusuchen und am Friedhof ihre verstorbenen Familienmitglieder zu besuchen. Mittlerweile leben die Leute, die sie dort kannte nicht mehr, und ihre Familienmitglieder sind auch alle nach Australien, Israel oder in die USA ausgewandert.

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